Die Bedeutung von Hygiene und Hygienekosten in Zahnarztpraxen - Gestern, heute und morgen

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Die Bedeutung von Hygiene und Hygienekosten in Zahnarztpraxen - Gestern, heute und morgen

Die Rolle der Hygiene in Zahnarztpraxen

Hygiene im weiteren Sinne ist die „Gesamtheit aller Bestrebungen und Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten und Gesundheitsschäden“. Folglich ist Hygiene natürlich auch fester Bestandteil zahnärztlicher Tätigkeit und eine Verpflichtung für alle Zahnärztinnen und Zahnärzte, ihre Patienten, ihr Team und sich selbst durch entsprechende Prozesse und den Einsatz adäquater Technik vor Infektionen zu schützen. Die Anforderungen an die Hygienemaßnahmen und Standards sind großteils gesetzlich geregelt oder über ergänzende Richtlinien und Empfehlungen festgelegt. Hygiene ist aber eben nicht nur die reine Erfüllung gesetzlicher Anforderungen, sondern auch eine deutlich darüber hinausgehende ethisch-moralische Verpflichtung zum Schutze anderer und zum Selbstschutz. Zu diesem Ergebnis kommen auch Prof. Dr. Lutz Jatzwauk und Prof. Dr. Rainer Jordan, Autoren einer kürzlich vom Institut der Deutschen Zahnärzte veröffentlichten Studie zu Hygienekosten in Zahnarztpraxen.

Bedeutung der Hygiene für Patientinnen und Patienten

Die Bedeutung der Hygiene für die zahnärztliche Tätigkeit deckt sich mit den Erwartungen und Anforderungen der Patienten. So geben nach einer Umfrage der Weissen Liste und der Bertelsmann Stiftung 90% der Patienten an, dass ihnen bei der Suche nach einer Arztpraxis die Maßnahmen zur Hygiene wichtig oder gar sehr wichtig sind. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt eine Studie aus Österreich, laut der Krankenhauspatienten den Themen "Hygiene" und "Sicherheit" eine Bedeutung von 85 Punkten (auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten) beimessen. Damit sind die Hygienemaßnahmen in beiden Studien deckungsgleich hinter den Fachkenntnissen und Erfahrungen der Ärzte der zweitwichtigste Faktor für Patienten.

Informationsverhalten der Praxen

Gerade im Bereich der Hygiene fühlen sich die Patienten jedoch nicht ausreichend informiert. So gaben in der Bertelsmann-Studie nur 52% der Befragten an, dass sie sich zu den Hygienemaßnahmen der Praxen auch gut informiert fühlen. Die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in dieser Kategorie damit am größten.

Auswirkung der Coronavirus-Pandemie auf Hygieneanforderungen

"Die Corona-Pandemie hat diesen Aspekt noch einmal bestätigt oder sogar verstärkt", ist sich Jan Papenbrock, Gründer und Geschäftsführer der im Bereich der Wasserhygiene tätigen Firma BLUE SAFETY GmbH, sicher. Nach seiner Auffassung haben Patienten aktuell ein nochmals erhöhtes Sicherheitsbedürfnis und Verlangen nach transparenter Praxishygiene. Eine Einschätzung, die sich mit den Ergebnissen unserer Analysen im Rahmen des solvi Leistungsindex (SLIC) deckt, wonach vor allem ältere Patienten den Praxen noch vermehrt fernbleiben. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt auf die in dieser Risikogruppe besonders stark ausgeprägte Angst vor dem Virus. So kommt die „Corona-BUND-Studie“ des BMG zu dem Ergebnis, dass die Furcht vor einer zweiten Infektionswelle und vor der eigenen Ansteckung bei vielen Bundesbürgern weiterhin vorhanden und bei den älteren Bevölkerungsgruppen besonders stark ausgeprägt ist.

"Patientenkommunikation und Praxismarketing waren nie wichtiger als heute, um die Patienten zurück in die Praxen zu bringen und die Umsätze zu stabilisieren oder gar zu steigern. Kommunizieren Sie daher gerade jetzt Ihre Maßnahmen und Standards im Hygienemanagement offen und aktiv nach außen", empfiehlt daher auch Papenbrock seinen Anwendern weiter, denn gerade Zahnarztpraxen seien traditionell mit einem hohen Hygienestandard ausgestattet - die Wasserhygiene mal ausgenommen.

Höhe der Hygienekosten in Zahnarztpraxen

Die Kosten der Hygienemaßnahmen in Zahnarztpraxen beziffert die oben erwähnte Studie des IDZ auf durchschnittlich 65.000 Euro pro Jahr in Einzelpraxen. In den anderen Praxisformen (Praxisgemeinschaft, BAG, MVZ) ergeben sich entsprechend höhere Kosten von 87.000 Euro im Mittelwert. Dabei steigen die Hygienekosten laut Modellierung des IDZ vor allem mit der Anzahl an Behandlungseinheiten, der Praxisfläche, der Anzahl der Behandler und natürlich mit der Anzahl an Patienten, die in der Praxis pro Tag behandelt werden. 

Im Vergleich mit einer nahezu zeitgleich durchgeführten Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) übersteigen die Hygienekosten einer Zahnarztpraxis die einer Hausarztpraxis damit um etwa das Zehnfache.

Zusammensetzung der Hygienekosten in Zahnarztpraxen

Die Hygienekosten sind dabei eine besondere Art der Kosten, da man sie in den üblichen Auswertungen nicht direkt beobachten kann. Sie sind z.B. keiner Zeile der Betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA) direkt zu entnehmen und verstecken sich vielmehr in vielen der in einer BWA enthaltenen Positionen. Laut IDZ teilen sie sich dabei ca. im Verhältnis 2:1 auf Personalkosten und Sachkosten auf. Vor knapp 20 Jahren war dieses Verhältnis noch genau umgekehrt - ein Ausdruck der insgesamt steigenden Personalkosten und der zunehmenden Anforderungen.

Der größte Teil der Kosten wird dabei durch den Zeitaufwand verursacht, der für die maschinelle Reinigung und Desinfektion sowie für die Vor- und Nachbereitungen rund um die Behandlungen aufgebracht wird. So waren die PraxismitarbeiterInnen laut der IDZ Studie durchschnittlich "eine volle Stunde vor allem mit dem Beladen und Entladen des Reinigungs- und Desinfektionsgeräts sowie mit der anschließenden Prüfung und Nachbereitung der so aufbereiteten Instrumente beschäftigt. Mit der Vor- und Nachbereitung der einzelnen Behandlungen am Aufnahmetag verbrachten die zahnmedizinischen Fachangestellten im Durchschnitt gute anderthalb Stunden."

Steter Anstieg der Hygienekosten in Zahnarztpraxen

Neben dem zunehmenden Anteil der Personalkosten an den Hygienekosten lässt sich außerdem beobachten, dass die Gesamthygienekosten in Zahnarztpraxen im langfristigen Trend kontinuierlich und stark ansteigen. So kommt das IDZ in der Studie zu dem Ergebnis, dass die Gesamthygienekosten der Einzelpraxen sich seit 1996 um mehr als 132% erhöht haben, was deutlich über der inflationsbasierten Preissteierung liegt. Diese Zahlen berücksichtigen dabei noch nicht den Einfluss der Coronavirus-Pandemie, in deren Folge durch höhere Einkaufspreise und zusätzliche Hygieneprozesse mit einem weiteren signifikanten Anstieg zu rechnen ist.

Hygienekosten je Behandlung

Wenn man die durch das IDZ ermittelten Gesamthygienekosten ins Verhältnis zur Anzahl der durchgeführten Behandlungen setzt, erhält man rechnerisch die Hygienekosten je Behandlung. Diese, zugegeben recht grobe Schätzung, lässt Sockelbeträge, Fixkosten sowie sprungfixe Kosten außer Acht, ist aber dennoch eine interessante Annäherung an die Hygienekosten je Behandlung. 

Ausgehend von den 65.000 Euro Gesamthygienekosten einer Einzelpraxis und mit der Annahme von ca. 4.300 Behandlungen pro Kalenderjahr (= 360 pro Monat = 18 pro Arbeitstag) ergeben sich sich Gesamthygienekosten von ca. 15 Euro pro Behandlung in einer Einzelpraxis (zum Vergleich = ca. 10 pro Behandlung in BAGs). Unter Berücksichtigung der fixen und sprungfixen Kosten lässt sich abschätzen, dass jede zusätzliche Behandlung darüber hinaus weitere Hygienekosten von ca. 5 Euro verursacht (unabhängig von der Praxisform). Dies deckt sich grob auch mit der Modellierung des IDZ, welche einen Sockelbetrag von 17.610 Euro sowie sprungfixe Kosten für die Hygiene von Behandlungseinheiten (2.009 Euro / Einheit), Praxisfläche (17 Euro / qm) und Personal (926 Euro / 2.404 Euro) berücksichtigt und rückgerechnet auf ca. 5,00 bis 5,50 Euro (je nach Berechnungsannahme) pro Behandlung kommt.

Steigende Hygienekosten in Zeiten von Corona 

Vor dem Hintergrund der Höhe der Hygienekosten (auch gerade im Vergleich zu Hausärzten und anderen Fachrichtungen) kommen daher auch die Autoren der IDZ Studie zu dem Ergebnis, dass "es eigentlich selbstverständlich [ist], dass die für Hygiene notwendigen Kosten wie die übrigen Behandlungskosten auch adäquat vergütet werden“. Gerade in Zeiten der Coronavirus-Pandemie war dies jedoch anfangs nicht der Fall. Zwar liegen bislang keine genauen Zahlen vor, es wird jedoch durchweg berichtet, dass die Kosten für Material und vor allem Hygienematerial stark angestiegen sind und auf einem erhöhten Niveau verharren. Ebenso treiben die zusätzlichen Hygienemaßnahmen und -prozesse die Hygienekosten in den Praxen aktuell hoch. 

Entlastung durch Corona-Hygienepauschale der GOZ

Entlastung kommt für die Praxen an dieser Stelle primär durch die GOZ in Form der Extravergütung für Schutzausrüstung in Zahnarztpraxen. Zur Abgeltung der aufgrund der COVID-19-Pandemie deutlich erhöhten Kosten für Schutzkleidung etc. können Zahnarztpraxen seit dem 8. April 2020 demnach die Gebührennummer 3010 analog mit dem 2,3-fachen Satz zum Ansatz bringen (an dieser Stelle sei erneut auf unsere Podcast-Folge 009 mit Regina Granz verwiesen, in der wir die Besonderheiten der Abrechnung in Zeiten der Coronavirus-Pandemie im Detail behandeln). Im Ergebnis führt dies zu einer Pauschale von 14,23 Euro pro Sitzung. Die Regelung, die zunächst bis zum 31. Juli 2020 befristet war, wurde kürzlich bis zum 30. September 2020 verlängert

Geht man in einem Rechenbeispiel für eine Praxis von 1-2 privat versicherten Patienten pro Tag aus, so kommt man bei 21 Arbeitstagen pro Monat und knapp 6 Monaten Laufzeit der Sondervergütung auf mögliche Mehreinnahmen i.H.v. ca. 2.700 Euro (1,5 Patienten x 21 Tage x 6 Monate x 14,23 Euro). In Summe wird diese Unterstützung die Mehrkosten für die zusätzlichen Hygienemaßnahmen der Praxen sicher nicht komplett kompensieren, sie stellt aber zumindest eine materielle Unterstützung für die Praxen dar. 

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gesamthygienekosten einen signifikanten Anteil der Praxiskosten ausmachen und das bereits vor den aktuellen Herausforderungen der Coronavirus-Pandemie. Basierend auf den oben genannten Zahlen des IDZ und den Kostenstrukturen von Praxen laut KZBV Jahrbuch kommt man für eine durchschnittliche Einzelpraxis etwa auf einen Kostenanteil der Hygienekosten an den Gesamtkosten von ca. 15%; Tendenz stark steigend. Dieser Anstieg ist der gestiegenen Bedeutung von Hygiene vor dem Hintergrund des Patientenschutzs geschuldet, sowie den stetig steigenden Personalkosten, die mittlerweile ca. zwei Drittel der Hygienekosten ausmachen. Die gute Nachricht ist, dass die Patienten der Hygiene auch die entsprechende Bedeutung beimessen und sich sogar eine bessere Kommunikation der ergriffenen Maßnahmen und angelegten Standards wünschen. Insofern treffen die erheblichen Ausgeben auch auf eine Nachfrage bzw. ein entsprechendes Patientenbedürfnis. 

Dies gilt in den aktuellen Zeiten mehr denn je. Die im Rahmen der GOZ bereitgestellte Hygienepauschale sollte den Praxen jedenfalls helfen, die Mehrkosten zumindest für privatversicherte Patienten aufzufangen. Es bleibt abzuwarten, wie die Auswirkungen der Pandemie auf die Hygienemaßnahmen und Kosten langfristig ausfallen werden und wie die Praxen damit umgehen. Wir werden an dieser Stelle weitere Artikel zu dem Thema veröffentlichen, sobald gesicherte Erkenntnisse zur weiteren Kostenentwicklung vorliegen.


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